Präsident Franz Titschenbacher: Heurige Ernte stark von klimawandelbedingten Wetter-Extremen gezeichnet. Neues Boden-Humus-Zentrum und Projekt Steirerteich sollen mithelfen, die Verwundbarkeit durch den Klimawandel zu entschärfen
Wetterextreme dominierten das Vegetationsjahr 2019. „Ausgeprägte Wetterextreme setzten der heimischen Landwirtschaft massiv zu. Erstmals war auch der nördlichste Teil der Steiermark stark von Trockenheit betroffen“, verweist Landwirtschaftskammer-Präsident Franz Titschenbacher auf ein besonders bedrohliches Gesicht des fortschreitenden Klimawandels. Der wärmste, sonnigste und trockenste Juni in der 253-jährigen Messgeschichte legte gefolgt von anhaltender Hitze und Trockenheit den Grundstein für enorme Ertragsausfälle bei Grünland im oberen Mur-, Mürz-, Liesing- und Ennstal. Dazu kamen starke Schäden durch Engerlinge im Ausseerland, aber auch im Raum Murau. In den südlichen Teilen des Landes war der für die Jugendentwicklung der Pflanzen so wichtige Mai generell zu kalt, zu trüb und zu feucht, sodass Kürbisse und andere Ackerfrüchte teils sogar erneut angebaut werden mussten. Gepaart mit der darauffolgenden Sommertrockenheit kam es auf wenig wasserhältigen Böden zu erheblichen Ertragsverlusten und verspäteter Reife. Hagel, Dürre, Frost, Überschwemmung und Wiederanbau verursachten in der Steiermark einen Gesamtschaden von 27,2 Millionen Euro (Abbildung 1, 2, 3, 4).
Gewinner und Verlierer. Große trockenheitsbedingte Verluste gab es neben Grünland und Mais auch bei Erdäpfeln mit einem Minus von bis zu 45 Prozent. Mindererträge wurden auch bei Kürbiskernen, Weizen und Zuckerrüben eingefahren. Zu den Gewinnern zählen heuer Hirse, Hopfen, Marillen und Wein mit der historisch zweitgrößten Weinernte von voraussichtlich 264.000 Hektolitern. Die Käferbohnen-Bauern hoffen noch auf eine durchschnittliche Ernte, sofern der Frost spät kommt und sich die im Sommer gebildeten Schoten bis dahin noch entwickeln können. Trockenheitsbedingt werden auch die Chinakohl- und Krenernten nur durchschnittlich ausfallen.
Klimaverschlechterung bedroht Versorgungssicherheit. Titschenbacher: Ernährungssicherheit muss bei Politik und Verantwortungsträgern höchste Priorität haben. Aktuelle Klimamodellierungen der Agentur für Ernährungssicherheit (Ages) erwarten bis 2065 bei wichtigen Kulturen wie Mais, Weizen, gentechnikfreien Sojabohnen, Raps und Erdäpfeln dramatische Ertragseinbußen und somit eine drohende deutliche Unterversorgung (Annahme: +3,5 Grad Celsius im Sommer, +2,5 Grad im Winter, minus 20 Prozent weniger Jahresniederschlag, 2018). „Diese alarmierenden Ergebnisse erfordern, dass Politik, Verantwortungsträger und Wissenschaft der Versorgungsicherheit sowie der regionalen, bäuerlichen Landwirtschaft höchste Priorität geben und auch ihr volles Gewicht dafür in die Waagschale werfen müssen“, fordert Landwirtschaftskammer-Präsident Franz Titschenbacher. Und weiter: „Es gilt die Verwundbarkeit und Abhängigkeit unseres Landes und der Bevölkerung durch klimaschädliche und oftmals minderwertige Lebensmittel-Importe zu vermeiden.“
Agrarlandesrat Johann Seitinger betont: „Das große Ziel der steirischen Land- und Forstwirtschaft ist es, die Versorgungssicherheit in der Steiermark in höchstem Maße zu gewährleisten, zudem eine Verteilung der Wertschöpfung zwischen den Bauern und dem Handel gerechter zu gestalten sowie den Konsumenten den Heimvorteil der regionalen Qualitätsprodukte deutlicher zu machen.“
Bauern und Kammer wirken aktiv den Folgen des Klimawandels entgegen. „Die Wasserverfügbarkeit und der gezielte Humusaufbau sind zwei zentrale Schlüssel, um die Auswirkungen der Klimaverschlechterung auf die Landwirtschaft zu entschärfen“, sagt Titschenbacher und betont: „Bauern und Landwirtschaftskammer werden ihre bisherigen Aktivitäten mit dem neuen ,Boden-Humus-Zentrum‘ sowie dem Projekt ,Steirerteich‘ maßgeblich verstärken und erweitern.“ Gleichzeitig fordert Titschenbacher die Wasserversorgung in Trockengebieten für den Obst- und Gemüsebau im Zuge von Infrastrukturvorhaben vorsorglich mitzudenken und sicherzustellen. Positives Vorbild ist der Bau des Plabutschtunnels, bei dem gleichzeitig eine gesonderte Wasserleitung miterrichtet wurde, die Wasser vom Norden in den Osten des Landes bringt.
Brugner: Projekt Steirerteich setzt europaweite Maßstäbe für klimawandelangepasste Landwirtschaft. „Anfang 2020 kann jeder steirische Betrieb kostenfrei per Mausklick mit dem Tool ,Steirerteich‘ die künftige Wasserverfügbarkeit für seine Flächen anhand von drei möglichen Klimaszenarien bis zum Jahr 2100 ablesen. Dieses vorausschauende Werkzeug dient der Entscheidungshilfe für die künftige Kulturartenwahl und gibt Orientierung, wo und in welcher Größe Bewässerungsteiche sinnvoll und machbar sind“, informiert Kammerdirektor Werner Brugner über dieses europaweit einzigartige Werkzeug für die Zukunftsplanung. Bei Bedarf unterstützen in der Folge die Bewässerungsberater der Landwirtschaftskammer bei der Machbarkeit-Abklärung des Vorhabens.
Boden-Humus-Zentrum. Blühflächen für Bienen und Insekten. Regenwürmer und gesunder Boden. „Ein humusreicher Boden speichert Wasser, schützt die Pflanzen besser vor Trockenheit und bei Starkregen den Boden vor Abschwemmung“, unterstreicht Kammerdirektor Werner Brugner. Im neu eingerichteten Boden-Humus-Zentrum in der Bezirkskammer Südoststeiermark in Feldbach treiben seit Kurzem vier erfahrene Boden-Experten den klimafitten Ackerbau mit den steirischen Bauern nachhaltig voran. Brugner: „Eine zentrale Rolle spielt dabei eine vielfältige Fruchtfolge mit einer im Idealfall ganzjährigen Begrünung mit speziellen insektenfreundlichen Blühpflanzen, die den Bienen und Insekten Nahrung bieten, von den Regenwürmern verwertet werden und so einen gesunden Boden schaffen.“ Die bisher schon etwa 3.000 Hektar derart bewirtschafteten Flächen wollen wir in den kommenden Jahren verzehnfachen. Auch im Obst- und Weinbau sollen die Begrüngen zu unterschiedlichen Zeitpunkten verjüngt werden, um den Bienen und Insekten stets frische Blüten zu bieten. Weiteres geht es um wassersparende Bodenbearbeitung. „Unabdingbar für den nachhaltigen Erfolg sind regionale Praxisversuche, die Züchtung von trocken- und hitzeresistenteren Sorten aus dem regionalen Genpool sowie Anreize für die Bauern im Zuge der neuen EU-Agrarpolitik 2021+“, betont Brugner.
Das Boden-Humus-Zentrum in Feldbach bietet den Bauern individuelle Beratung, veranstaltet Praxis- und Feldtage mit erfahrenen Praktikern in der Humus- und Zwischenfruchtanbauwirtschaft und hat ein ambitioniertes Weiterbildungsprogramm auf die Beine gestellt.
Foto: LK-Danner